Employer Branding ist kein Obstkorbthema
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Employer Branding - so geht's richtig!
Warum Unternehmen ihre Arbeitgebermarke strategisch aufstellen müssen und welche Fehler sie vermeiden sollten. Ein Gespräch mit den Experten/-innen des HR Circle.
Die Suche nach Fachkräften stellt Unternehmen in Deutschland vor große Herausforderungen. Eine starke Arbeitgebermarke ist dabei essenziell. Doch was macht Employer Branding aus und wie kommunizieren Unternehmen ihre Kultur authentisch? Heidrun Meder, Alexandra Hagemann und Stephan Pechstein – Experten/-innen des HR Circle – geben Einblicke, wie Unternehmen sich im „War for Talents“ behaupten können.
„Employer Branding ist nicht gleich Marketing“
Sven Donat: Frau Meder, Sie sind Vorstand des HR Circle. Was macht Employer Branding heute so entscheidend?
Heidrun Meder: Der Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung sind für viele Unternehmen existenzielle Herausforderungen. Immer mehr Menschen scheiden altersbedingt aus dem Berufsleben aus, und mit ihnen geht oft wertvolles Wissen verloren. Employer Branding ist entscheidend, um einerseits neue Talente zu gewinnen und andererseits bestehende Mitarbeitende zu binden. Dabei geht es nicht nur um Benefits oder eine stylische Karriere-Website, sondern um eine ganzheitliche Strategie, die Kultur, Werte und Kommunikation umfasst.
Sven Donat: Herr Pechstein, Sie sprechen von „Veränderung“ als zentralem Thema. Was meinen Sie genau? Stephan Pechstein: Unternehmen können es sich heute nicht mehr leisten, auf Bewerbungen zu warten. Früher rannten die Leute den Personalabteilungen die Türen ein. Heute müssen Unternehmen rausgehen, sich präsentieren und aktiv für sich werben. Dabei steht die Glaubwürdigkeit im Fokus: Ein Unternehmen, das nur oberflächlich glänzt, wird schnell entlarvt.
Sven Donat: Viele Unternehmen setzen auf Obstkörbe oder Kickertische. Reicht das?
Alexandra Hagemann: Das sind nette Extras, aber sie greifen zu kurz. Ein Obstkorb macht noch keine Arbeitgebermarke. Employer Branding bedeutet, die eigenen Werte und die Unternehmenskultur greifbar zu machen. Ohne eine authentische und gelebte Kultur bleiben Benefits nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
„Employer Branding braucht Führungskräfte als Influencer“
Sven Donat: Frau Hagemann, Sie arbeiten viel mit Führungskräften. Welche Rolle spielen sie im Employer Branding?
Alexandra Hagemann: Eine sehr zentrale. Strategien werden oft „top-down“ entwickelt, aber die Kultur eines Unternehmens entsteht „bottom-up“. Führungskräfte sind dabei die entscheidenden Multiplikatoren. Sie müssen Werte vorleben und Teams motivieren. Das gelingt nur, wenn sie selbst überzeugt sind und den Mehrwert einer starken Arbeitgebermarke erkennen.
Sven Donat: Wie entwickeln Sie diese Fähigkeiten bei Führungskräften?
Alexandra Hagemann: Ich arbeite mit einem Mix aus Training, Coaching und Moderation. Es geht darum, Führungskräfte zu befähigen, Kultur zu leben und Veränderungen anzustoßen. Employer Branding beginnt nicht bei Hochglanzbroschüren, sondern bei glaubwürdigen Menschen, die die Kultur des Unternehmens tragen.
„Keine Gießkanne, bitte!“
Sven Donat: Was sind die größten Fehler, die Unternehmen beim Employer Branding machen? Stephan Pechstein: Viele setzen auf das „Gießkannenprinzip“ und überladen Mitarbeitende mit Benefits, in der Hoffnung, sie zu binden. Das funktioniert nicht, weil solche Maßnahmen oft kurzfristig verpuffen. Entscheidend ist, welche Werte und Emotionen ein Unternehmen bei seinen Mitarbeitenden verankert. Das erfordert eine präzise und individuelle Ansprache.
Heidrun Meder: Ein weiterer Fehler ist, Employer Branding ausschließlich als HR-Aufgabe zu sehen. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel aus HR, Kommunikation und Geschäftsführung. Eine starke Arbeitgebermarke entsteht, wenn alle an einem Strang ziehen und authentisch bleiben.
Sven Donat: Was bedeutet „authentisch“ in diesem Zusammenhang?
Heidrun Meder: Authentizität heißt, dass die interne Realität mit der externen Kommunikation übereinstimmt. Wenn Mitarbeitende die Werte ihres Unternehmens nicht spüren, dann helfen auch die besten Marketingmaßnahmen nichts. Eine Arbeitgebermarke, die nur Fassade ist, kann langfristig nicht bestehen.
„Employer Branding ist ein Marathon, kein Sprint“
Sven Donat: Welche Trends sehen Sie für die Zukunft des Employer Branding?
Stephan Pechstein: Digitalisierung bleibt ein großes Thema. Karriere-Websites, die visuell und technisch überzeugen, sind ein Muss. Gleichzeitig müssen Unternehmen verstärkt auf den Wissenstransfer achten, um den demografischen Wandel zu bewältigen.
Alexandra Hagemann: Auch die Nachhaltigkeit wird wichtiger. Junge Talente achten heute darauf, ob ein Unternehmen Verantwortung übernimmt – sei es ökologisch, sozial oder wirtschaftlich.
Heidrun Meder: Insgesamt geht es darum, langfristig zu denken. Employer Branding ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Unternehmen, die das verstehen und sich strategisch aufstellen, haben langfristig die Nase vorn.
„Markenstärkung beginnt mit Workshops zur Klärung zentraler Aussagen“
Sven Donat: Wie beginnt der Prozess, wenn ein Unternehmen seine Marke – speziell die Arbeitgebermarke – stärken möchte?
Stephan Pechstein: Im ersten Schritt erarbeiten wir sogenannte Markenfacetten. Das sind alle wichtigen Aussagen und Eindrücke, die in den Workshops zusammengetragen werden. Diese strukturieren wir, um zu klären: Wofür steht das Unternehmen wirklich? Dabei betrachten wir den Stil, die Haltung und vor allem die Leistung des Unternehmens. Manchmal ergibt sich daraus ein Claim, ein klar formuliertes Leistungsversprechen – das muss aber nicht zwingend so sein.
„Abgrenzung zwischen Unternehmens- und Arbeitgebermarke sorgt oft für Verwirrung“
Sven Donat: Das klingt nach einem umfassenden Ansatz. Wie reagieren Unternehmen darauf? Stephan Pechstein: Es kommt oft zu Irritationen, etwa wenn es um die Abgrenzung zwischen Unternehmens- und Arbeitgebermarke geht. Ein Beispiel: Wenn jemand sagt, „Ich arbeite bei Daimler“, schwingt mehr mit als nur der Arbeitgeber. Da geht es um Produktstolz, Regionalität und Identität. Diese Elemente übertragen wir in eine sogenannte Markenpersönlichkeit. Dabei stellen wir uns vor: Wenn das Unternehmen eine Person wäre – wie alt wäre sie? Welches Geschlecht? Was ist ihre Ausstrahlung?
Sven Donat: Das klingt nach einem sehr greifbaren Ansatz. Gibt es da Überraschungen? Alexandra Hagemann: Definitiv! Besonders bei der Frage, wie die Geschäftsführung das Unternehmen sieht im Vergleich zu den Mitarbeitenden. Da entstehen oft Diskrepanzen zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung. Führungskräfte denken häufig, dass sie alles richtig machen, weil sie sich sehr bemühen. Doch ob das den Bedürfnissen der Mitarbeitenden entspricht, ist eine andere Frage.
Sven Donat: Gibt es typische Missverständnisse, die Sie immer wieder beobachten?
Alexandra Hagemann: Ja, insbesondere bei kommunalen Unternehmen. Deren Leistung wird oft völlig unterschätzt. Die Vorstellung ist: „Das sind doch nur Verwaltungsjobs.“ Doch hinter Bereichen wie Abwasserwirtschaft stecken oft hochqualifizierte IT- und App-Entwickler. Hier arbeiten wir daran, diese Leistungen sichtbarer zu machen und die Wahrnehmung zu korrigieren.
„Führungskräfte stehen im Zentrum einer erfolgreichen Markenentwicklung“
Sven Donat: Wie wichtig ist Führung in diesem Prozess?
Alexandra Hagemann: Sehr wichtig. Führungskräfte sind oft stark auf ihre fachlichen Kompetenzen fokussiert und vergessen dabei, dass Führung auch bedeutet, für die Mitarbeitenden da zu sein. Viele Führungskräfte geben ihr Bestes, wissen aber nicht, wie sie wirklich die richtigen Impulse setzen können. Das führt zu Missverständnissen, die sich auf die Unternehmenskultur auswirken.
Sven Donat: Und wie geht es weiter, wenn das Markenbild erst einmal definiert ist?
Heidrun Meder: Nach den Workshops und der Auswertung kommt oft der entscheidende Moment: Unternehmen erkennen, wo ihre Baustellen liegen – und wissen dann nicht, wie sie weitermachen sollen. Sie sitzen auf 70 Seiten Präsentation und sind überfordert. Hier setzen wir an und helfen, die nächsten Schritte zu gehen.
„Ein ganzheitlicher Ansatz ist entscheidend“
Sven Donat: Welche Herausforderungen treten dann auf?
Heidrun Meder: Häufig zeigt sich, dass es nicht nur um Employer Branding geht. Es braucht Prozessoptimierung, Digitalisierung und einen gezielten Wissenstransfer. Wir sprechen die Führungskräfte an, die Teamentwicklung – eben alle Faktoren, die zur Markenbildung beitragen. Der Schlüssel ist, das Ganze ganzheitlich zu betrachten und in konkrete Maßnahmen umzusetzen.
Sven Donat: Warum scheitern Unternehmen Ihrer Erfahrung nach an dieser Umsetzung?
Stephan Pechstein: Es fehlt oft an einem klaren Plan, der alle Abteilungen einbindet. Employer Branding wird zu stark isoliert betrachtet. Dabei zahlt jede Kommunikation, sei es intern oder extern, auf die Arbeitgebermarke ein. Unser Ansatz ist deshalb, die Marke nicht nur zu entwickeln, sondern sie für alle Unternehmensbereiche nutzbar zu machen.
„Ein Claim allein reicht nicht – er muss gelebt werden“
Sven Donat: Ein letzter Punkt: Welche Rolle spielen Claims und Slogans?
Alexandra Hagemann: Sie können kraftvolle Signale setzen, wie „Yes, we can“ es gezeigt hat. Doch ein Claim allein reicht nicht. Es geht darum, ihn in die Unternehmenskultur zu integrieren und mit Leben zu füllen. Nur so wird eine Marke glaubwürdig und nachhaltig wirksam.
Sven Donat: Wie entsteht eine erfolgreiche Arbeitgebermarke, die nachhaltig wirkt?
Heidrun Meder: Ein klar definierter Markenkern ist das Fundament. Die Entwicklung startet oft mit internen Workshops, an denen Führungskräfte und Mitarbeiter beteiligt sind. Hier kristallisieren wir die zentralen Werte und Ziele heraus. Meistens entstehen dabei mehrere Optionen, die miteinander verglichen und kombiniert werden. Sobald eine klare Richtung gefunden ist, geben wir das Ergebnis in eine externe Verprobung. Denn am Ende muss die Botschaft vor allem bei den Menschen draußen – den potenziellen Bewerbern – ankommen.
Sven Donat: Wie lange dauert ein solcher Prozess?
Heidrun Meder: Für eine solide Grundlage sind etwa neun Monate realistisch. Das schließt die Entwicklung, Abstimmung und Planung ein. Aber: In dringenden Fällen, wie bei kurzfristigen Engpässen oder anstehenden Messen, lassen sich sogenannte Quick Wins einbauen. Diese kurzfristigen Maßnahmen geben schnelle Impulse, ohne die langfristige Strategie zu gefährden.
„Interne Kommunikation als Basis für eine glaub würdige Marke“
Sven Donat: Welche Rolle spielt die interne Kommunikation in diesem Prozess?
Alexandra Hagemann: Sie ist essenziell. Die Werte einer Marke müssen erst intern gelebt werden, bevor sie nach außen glaubhaft kommuniziert werden können. Es reicht nicht, Werte einfach als Leitlinien an die Wände zu kleben. Die Umsetzung gelingt nur, wenn Mitarbeitende aktiv eingebunden werden. Markenbotschafter können dabei eine wichtige Rolle spielen. Das sind Mitarbeiter, die sich mit den Werten identifizieren und diese authentisch nach außen tragen – sei es in Gesprächen oder in den sozialen Medien.
Sven Donat: Was unterscheidet moderne interne Kommunikation von klassischen Ansätzen? Alexandra Hagemann: Wir leben in Zeiten des Dialogs. Früher war interne Kommunikation oft einseitig – die Geschäftsführung spricht, der Rest hört zu. Heute geht es darum, einen kontinuierlichen Austausch zu fördern. Workshops, Feedback-Runden und regelmäßige Updates schaffen Raum für diesen Dialog. Es ist auch wichtig, verschiedene Plattformen zu nutzen, um alle Mitarbeitenden zu erreichen – von der Produktionshalle bis zum Homeoffice.
„Authentizität und Transparenz sind entscheidend“
Sven Donat: Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung?
Heidrun Meder: Authentizität und Transparenz. Ein Unternehmen sollte nichts versprechen, was es nicht halten kann. Wenn Werte wie Respekt oder Wertschätzung Teil des Leitbilds sind, müssen sie auch gelebt werden – selbst bei Differenzen im Team. Wertschätzung bedeutet nicht, dass man jeden mögen muss, sondern dass man den Beitrag des anderen anerkennt. Das ist leichter gesagt als getan, gerade in stressigen Phasen.
Sven Donat: Wie kann man diesen Anspruch im Alltag umsetzen?
Alexandra Hagemann: Es braucht Strukturen, die Raum für Kommunikation schaffen. Teams sollten regelmäßig Zeit haben, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Ein Beispiel: Wenn ich weiß, dass mein Kollege morgens produktiv startet, während ich lieber mit einem Kaffee in den Tag komme, kann ich dieses Muster respektieren. Das funktioniert aber nur, wenn solche Themen bewusst angesprochen werden.
„Digitalisierung erfordert neue Ansätze für emotionale Bindung“
Sven Donat: Welche Rolle spielt die zunehmende Digitalisierung in diesem Kontext?
Heidrun Meder: Remote-Arbeit bietet viele Vorteile, erschwert aber die emotionale Bindung. Wenn der persönliche Kontakt fehlt, fühlen sich Mitarbeitende oft austauschbar. Hier müssen Unternehmen gezielt gegensteuern – zum Beispiel durch regelmäßige Treffen vor Ort oder virtuelle Formate, die den Teamgeist stärken. Die Herausforderung besteht darin, auch im digitalen Raum Nähe und Verbundenheit zu schaffen.
„Ehrlichkeit und klare Prioritäten sind der Schlüssel zur Transformation“
Sven Donat: Gibt es Tipps für Unternehmen, die vor einer Transformation stehen?
Alexandra Hagemann: Der wichtigste Schritt ist, ehrlich zu sich selbst zu sein. Unternehmen sollten sich fragen: Wo stehen wir wirklich? Was können wir schon gut, und wo gibt es Nachholbedarf? Dieser Prozess erfordert Offenheit und die Bereitschaft, Kritik anzunehmen. Gleichzeitig sollte klar kommuniziert werden, dass Veränderung ein Prozess ist – eine Reise, bei der alle mitwirken können.
„Projektmanagement als Grundlage für erfolgreiche Umsetzung“
Sven Donat: Wie wichtig ist Projektmanagement für einen erfolgreichen Employer-Branding-Prozess?
Alexandra Hagemann: Projektmanagement ist das A und O, wenn man Employer Branding vollumfänglich und erfolgreich umsetzen will. Es braucht ein strenges und strukturiertes Vorgehen, um alle Beteiligten einzubinden und den Prozess glatt durchzusteuern. Besonders wichtig ist dabei die enge Verzahnung zwischen HR, Unternehmenskommunikation und Geschäftsleitung. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Maßnahmen nicht ins Leere laufen.
„Kosten von Vakanzen verdeutlichen Notwendigkeit von Employer Branding“
Sven Donat: Was passiert, wenn ein Unternehmen Employer Branding nicht ernsthaft angeht?
Alexandra Hagemann: In vielen Fällen begegnen wir Unternehmen, die bereits frustriert sind. Sie haben viel Geld in Kampagnen gesteckt, ohne zuvor die internen Baustellen anzugehen. Das Ergebnis: Die Mitarbeitenden fühlen sich nicht abgeholt, und die neuen Talente, die durch teures Recruiting gewonnen wurden, verlassen das Unternehmen schnell wieder. Es fehlt oft an ehrlicher Kommunikation und einer soliden Basis.
Sven Donat: Welche Rolle spielen Authentizität und Glaubwürdigkeit?
Stephan Pechstein: Authentizität ist entscheidend. Ein Unternehmen muss glaubwürdig sein, insbesondere bei Themen wie Nachhaltigkeit. Eine aktuelle Studie zeigt, dass ein Drittel der Menschen Nachhaltigkeit genauso wichtig findet wie das Gehalt. Wenn ein Unternehmen sich als nachhaltig positioniert, muss es das auch einhalten können. Sonst entsteht ein Vertrauensverlust – sowohl bei potenziellen Bewerber:innen als auch bei den Mitarbeitenden.
Sven Donat: Welche weiteren Faktoren sind essenziell?
Stephan Pechstein: Neben Glaubwürdigkeit sind Relevanz und Differenzierung zentral. Arbeitgeber müssen sich fragen: Sind unsere Botschaften relevant für die Zielgruppe? Und heben wir uns von anderen ab? Besonders in der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie wenig differenziert manche Kampagnen waren. Glücklich tanzende Pflegekräfte auf YouTube haben kaum authentisch vermittelt, wie die Situation wirklich war.
„Employer Branding ist mehr als Marketing“
Sven Donat: Warum wird Employer Branding oft nur als Marketing gesehen?
Heidrun Meder: Leider wird Marketing häufig auf „bunte Bildchen“ reduziert. Viele Führungskräfte unterschätzen, dass Employer Branding eine hochstrategische Komponente ist, die direkt mit dem Erfolg eines Unternehmens zusammenhängt. Der Fachkräftemangel verschärft diese Problematik zusätzlich.
Sven Donat: Wie können Führungskräfte für das Thema sensibilisiert werden?
Heidrun Meder: Es hilft, die Kosten unbesetzter Stellen vor Augen zu führen. Die durchschnittliche Vakanzzeit hat sich von 2019 bis heute verdoppelt. Wenn eine Stelle 300.000 Euro kosten kann, rechnet sich ein professioneller Employer-Branding-Prozess schnell. Besonders in systemrelevanten Branchen wie dem Krankenhauswesen kann der Ausfall einzelner Mitarbeitender massive Auswirkungen haben – OP-Säle stehen still, und die wirtschaftlichen Folgen sind enorm.
Sven Donat: Was wünschen Sie sich von Unternehmen, die Employer Branding angehen?
Stephan Pechstein: Unternehmen sollten sich ehrlich mit ihren Schwächen auseinandersetzen und nicht nur an der Oberfläche arbeiten. Employer Branding ist kein Selbstzweck, sondern ein Prozess, der Zeit und Ressourcen erfordert. Führungskräfte müssen erkennen, dass es nicht nur darum geht, Talente zu gewinnen, sondern auch darum, sie langfristig zu binden und zu motivieren.
Sven Donat: Herr Pechstein, was kostet ein Employer-Branding-Prozess?
Stephan Pechstein: Die Kosten sind sehr unterschiedlich und können bei 50.000 Euro starten. Für komplexere Prozesse, die das gesamte Unternehmen und alle Mitarbeitenden einbeziehen, bewegen wir uns oft in einem Bereich von 150.000 bis 200.000 Euro. Natürlich gibt es keine Obergrenze, aber diese Investitionen sollten in Relation zu den Auswirkungen gesehen werden – etwa im Vergleich zu den Kosten einer unbesetzten Stelle oder den Risiken, wenn Leistungsträger abwandern.
Sven Donat: Welche Risiken meinen Sie konkret?
Stephan Pechstein: Ein gutes Employer Branding schützt nicht nur vor Abwanderungen, sondern hat auch eine positive Sogwirkung. Das Fehlen einer klaren Arbeitgebermarke führt oft dazu, dass Mitarbeitende bei Unsicherheit oder besseren Angeboten den Absprung wagen – insbesondere Leistungsträger. Dies kann eine Kettenreaktion auslösen, bei der andere Mitarbeitende ins Grübeln kommen. Ein starker Employer-Branding-Prozess dagegen gibt Orientierung, Identifikation und sorgt für ein langfristiges Commitment.
Sven Donat: Wie wird eine starke Arbeitgebermarke konkret entwickelt?
Stephan Pechstein: Es geht darum, Unternehmenswerte und einen klaren Purpose zu definieren. Diese Werte müssen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern im Alltag gelebt werden. Studien zeigen, dass positive Führung und ein klarer Sinn in der Arbeit die Motivation der Mitarbeitenden signifikant steigern können. Ein Employer-Branding-Prozess ist also kein reines Marketing, sondern ein ganzheitlicher Ansatz, der die Unternehmenskultur prägt und sich nachhaltig auf alle Prozesse auswirkt.
Sven Donat: Sie haben gemeinsam mit der Wirtschaftsakademie einen Zertifikatslehrgang zum Thema entwickelt. Was macht diesen Kurs besonders?
Alexandra Hagemann: Das Besondere ist die Tiefe und Praxisnähe des Lehrgangs. Es geht nicht nur um die plakativen Aspekte von Employer Branding, sondern um die strategische und transformative Wirkung. Die Teilnehmenden lernen, wie sie eine Marke aufbauen, Unternehmenswerte entwickeln und den Mehrwert für Mitarbeitende und das Unternehmen selbst sichtbar machen können.
Sven Donat: Wer sollte an diesem Lehrgang teilnehmen?
Alexandra Hagemann: Der Lehrgang richtet sich an HR-Verantwortliche, Geschäftsführungen, Kommunikations- und Marketingexperten sowie an alle, die mit Unternehmenskultur, Change- oder Projektmanagement in Berührung kommen. Besonders hilfreich ist der Kurs auch für diejenigen, die bislang wenig Erfahrung mit Employer Branding haben und eine fundierte Einführung suchen.
Sven Donat: Wie unterscheidet sich Ihr Lehrgang von anderen Angeboten?
Stephan Pechstein: Ein zentrales Merkmal ist die langfristige und interaktive Gestaltung. Der Kurs erstreckt sich über sechs Wochen, was Raum für Dialog und individuelles Feedback bietet. Die Teilnehmenden arbeiten an ihren eigenen Projekten, entwickeln konkrete Strategien und profitieren von der Expertise der Dozenten/-innen sowie vom Austausch mit anderen Teilnehmenden.
Sven Donat: Abschließend: Ist Employer Branding ein HR- oder Marketing-Thema?
Alexandra Hagemann: Employer Branding ist eine gemeinsame Aufgabe. HR, Marketing und weitere Bereiche müssen eng zusammenarbeiten, um eine glaubwürdige und wirkungsvolle Marke aufzubauen. Es geht nicht um Abgrenzung, sondern darum, Synergien zu nutzen und gemeinsam an einer starken Arbeitgebermarke zu arbeiten.
Bio
Heidrun Meder ist Vorstand des HR Circle. Sie hat langjährige Erfahrung im Bereich Recruiting und Employer Branding und engagiert sich für den Wissenstransfer zwischen Unternehmen.
Alexandra Hagemann ist Trainerin, Moderatorin und Coach. Sie unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung von Teams und Führungskräften, um Unternehmenskulturen nachhaltig zu stärken.
Stephan Pechstein leitet die Agentur „Im Mai“, die sich auf Employer Branding und Kommunikation spezialisiert hat. Er entwickelt Strategien, die Unternehmen helfen, sich im Wettbewerb um Fachkräfte zu behaupten.
Sven Donat ist Leiter der Unternehmenskommunikation bei der Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein und Moderator des Podcasts „HR aus dem Norden“.